Der Onlineboom oder was bleibt dem stationären Einzelhandel?

Oberste Regel des Anhalters: Don´t Panic! (Foto: Hanno Bender)

Oberste Regel des Anhalters:
Don´t Panic!

Ich war kürzlich auf dem Handelsimmobilien Gipfel 2013, einer Fachkonferenz auf der sich Expansionsverantwortliche aus führenden Handelsunternehmen, Makler, die wichtigsten Projektentwickler und Finanzierer zum Stelldichein treffen. Die Vorträge und Diskussionen bestätigten meinen Eindruck aus viele Gesprächen und Recherchen der letzten Wochen und Monate: Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass der boomende Onlinehandel mit seinen jährlich zweistelligen Wachstumsraten den stationären Handel nachhaltig verändert – und das (zunächst) nicht zum Vorteil der Städte und Verbraucher.

Die interessanten Diskussionen auf dem Handelsimmobilien Gipfel habe ich in diesem Artikel zusammengefasst. Der Beitrag war nur ein Schnellschuss am Donnerstagmorgen, der versucht die wichtigsten Aussagen und Zitate von 1 1/2 Tagen in einen Text zu gießen, ohne das der Leser allzu sehr stolpert.

Völlig fehlgeschlagen ist der Versuch offenbar nicht, denn der von mir geschätzte Jochen Krisch, Begründer des E-Commerce-Blogs exitingcommerce und von Branchen-Veranstaltung wie der „K5 Liga“ und der „Exceed“, hat den Beitrag in seinem Blog gelobt und verlinkt und ihn per Twitter als „einen DER Texte des Jahres“ mit einem #mustread geadelt.

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Das geht natürlich runter wie Öl, zumal es Anfang März ist und ich den Kollegen, wie gesagt, schätze, weil er meines Erachtens einen der wichtigsten Blogs zum Thema „E-Commerce“ in Deutschland aufgebaut hat und in bester journalistischer Manier oftmals noch einen Dreh in der Story oder eine Zahl im Geschäftsbericht entdeckt, die all die anderen – inklusive meiner Wenigkeit – übersehen haben. Das ewige Otto-Bashing und das immerwährende Hohe Lied auf die Pure Player geben ein Stern Abzug, es bleibt aber bei 4 Sternen.

Und auch zwei andere Blogs, etailment von Olaf Kohlbrück und Herzdamengschichten von Maximilian Buddenbohm, haben den Beitrag verlinkt. Für die etablierten Kollegen von der „richtigen Presse“ war der Artikel vermutlich zu lang und/oder nicht pointiert genug.

Trotz der Freude über Kollegen-Lob&Link, bleibt das Thema wenig spaßig. „Den Klein- und Mittelstädten droht die Verödung“, „das Internet wirkt als Brandbeschleuniger des Strukturwandels im Handel“, lauten die beiden Kernthesen. Nun kann man sagen, dass das nix Neues ist und man in der Provinz längst eine Verödung des Handels feststellen kann, wo allenfalls noch Aldi, Lidl, kik, Takko, Deichmann, dm drogeriemarkt, Drogerie Müller, Rossmann und wenn´s hochkommt noch ein C&A ihre Sortimente feilbieten und das letzte inhabergeführte Fachgeschäft in den nächsten Wochen, Monaten oder Jahren mangels Nachfolger schließt.

Es kommt aber noch viel heftiger und nicht nur die Klein- und Mittelstädte sind betroffen: „Große internationale Brands, die früher 50 bis 60 Läden in Deutschland gemacht haben, konzentrieren sich heute auf 10 Niederlassungen und einen Onlineshop“, sagt beispielsweise ein Makler, der die hippen Fashionkonzepte bei ihrer Deutschland- und Europaexpansion begleitet.

Und man kann es doch am eigenen Kaufverhalten bestens beobachten. Für eine Taucherbrille für die Kinder, ein Fieberthermometer oder einen Gasdämpfer für die Heckklappe fahre ich nicht in die Stadt, obwohl ich täglich unter der Frankfurter Zeil herfahre. Ich bestelle Pfennigartikel bei Amazon, als Prime-Kunde zahle ich keine Versandkosten für die einzelne Lieferung und die Nachbarn sind so nett und nehmen alles entgegen.

Apropos Nachbarn: Als ich kurz vor Weihnachten ein paar Tage zu Hause im Büro saß, konnte ich täglich den DHL-Boten im der Straße beobachten: Von 8 Paketen stammten gefühlt drei von Amazon und eines von Zalando, egal in welchem Haus der Mann klingelte. Klar ist das nicht repräsentativ, aber real 🙂 Je nachdem welche Zahlen man nimmt, dominiert Amazon bereits heute ein Viertel des deutschen Versandhandels – Tendenz stark steigend.

Wozu das führt? Am Samstag letzter Woche waren wir auf der Bergerstrasse, einer wunderschöne, gesunde Stadteillage in Frankfurt mit viel kleinteiligen Geschäften und einem guten Mix aus Filialisten, inhabergeführten Fachhandel und Gastronomie, wie Immobilienmenschen sagen würden. Wir wollten bei „Kunst&Keule“ Gauklerkram für den Kindergeburtstag am Sonntag kaufen.

Das Geschäft schließt. „Lohnt sich nicht mehr, die Leute bestellen alles im Netz“, erzählt der Inhaber. „Saisongeschäft zu Karneval und Halloween findet gar nicht mehr statt“. Der Großhändler habe ihn jüngst angerufen und nach Bestellungen gefragt, nachdem er von der Geschäftsaufgabe berichtete, sagte der Großhändler, die gleiche Geschichte habe er in den vergangenen Wochen 30 mal gehört. Frankfurt, Köln, Hamburg – überall schließen die Gaukler-Läden.

Was lernen wir daraus? Der Long Tail verschwindet von der Strasse. Mit Nischenbedarf ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Auch in Großstädten funktionieren solche bunten Läden nicht mehr. Bei einem Einrad für 130 Euro – und bei allem, was mal ein bisschen Marge versprach – schaut der Kunde natürlich bei Amazon nach dem Preis und der liegt dann nur knapp über dem Einkaufspreis von Kunst&Keule – Kosten für Personal und Laden nicht eingerechnet.

Und da das Internet zur globalen Monopolisierung führt (80 Prozent des grenzüberschreitenden Datenverkehrs gehört Amazon, Apple, Google und Ebay), wächst Amazon wie Blöde. Schlanke, emotionslose Warenverteilung ohne Marketingaufwand – sieht man vom Kindle ab. Demnächst mit eigener Währung, wenn auch zunächst nur für digitale Güter.

„Handel ist Wandel“, heißt die zugehörige Binsenweisheit und statt Mauern baut man besser Windmühlen, wenn der „Wind der Veränderung bläst“, ist klar. Aber langsam sollte man der Tatsasche gewahr werden, dass der digitale Kapitalismus gerade erst anfängt. Wie heißt das Motto von Amazon-Grüner Jeff Bezos so schön?

„Es ist immer Tag 1“.

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