Die Schufa, Facebook und die falschen Freunde

Ich könnte mich schwarz ärgern. Am Montag dieser Woche um 12:53 Uhr flatterte eine Pressemitteilung des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in meinen Posteingang. Ich überfliege die E-Mail kurz und lese etwas über „HPI und Schufa starten gemeinsames Web-Forschungsprojekt“ und, dass eine „Zusammenarbeit im Bereich der technischen Datenverarbeitung“ unter dem Namen „SCHUFALab@HPI“ beabsichtigt sei.

„In der Zusammenarbeit mit dem HPI wollen wir durch wissenschaftlich fundierte Ergebnisse langfristig die Qualitätsführerschaft unter den Auskunfteien in Deutschland sichern“, lässt sich Peter Villa, Vorstand der SCHUFA Holding AG, in der Pressemitteilung zitieren. „Mit dem Forschungsprojekt wollen wir aber auch die unzähligen Mythen und Vermutungen rund um die Informationsquelle Web auf den wissenschaftlichen Prüfstand stellen“, so Villa weiter.

Ich muss gestehen, dass ich die Brisanz bzw. das „Skandal“-Potenzial dieser Meldung nicht erkannte und mich dummerweise erstmal wieder dem Tagesgeschäft zugewandt habe, bis ich die Nachricht dann Hasso-Plattner-Institut Presseerklärunggänzlich vergaß. Es blieb den Redaktionen von NDR Info und Welt Online vorbehalten, aus der Pressemeldung einen Scoop zu basteln, der am Donnerstag schließlich eine Empörungswelle im Netz in Gang setzte und zahlreiche Nachfolgeberichte in sämtlichen „Leitmedien“ hinter sich herzog, bis hin zu einer „Ich-verlange-Aufklärung!“-Stellungnahme der Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner im Münchener Merkur.

Man musste die Pressemeldung nur richtig übersetzen, das Wörtchen „Facebook“ hinzufügen, ein paar Telefonate mit offenbar überaus auskunftswilligen Ansprechpartnern führen und schon schrillten alle Alarmglocken:

„Schufa will Facebook-Daten sammeln“, titelte NDR-Info und der Skandal war perfekt. Die beiden Redakteure des Radiosenders Peter Hornung und Jürgen Webermann haben sich mit ihrer Berichterstattung zu Datenschutzthemen schon mehrfach einen Namen gemacht und für bundesweite Schlagzeilen gesorgt (Datenauswertung beim EC-Cash-Dienstleister easycash, Kundenprofilbildung bei der Hamburger Sparkasse, Video-Überwachung in ECE-Einkaufscentern).

Nach meinem Geschmack steht dabei oftmals die Skandalisierung und nicht gerade die Sachaufklärung im Vordergrund des Bemühens. Aber Klappern gehört ja auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern längst zum journalistischen Handwerk und insofern ist diese Form der Berichterstattung wohl legitim.

Was mich an der ganzen Aufregung im Netz (siehe nur Twitter: #schufafilme und #schufa) und in den Medien aber neben der Tatsache stört, dass ich es selbst verpennt habe, aus der Presseerklärung wenigstens eine kleine Meldung zu machen, ist der Umstand, wie unkritisch und unreflektiert diese angeblich ach so kritische Empörungswelle und Berichterstattung über die Schufa und das HPI hinwegfegt.

Mit Stichworten wie „Schufa, „Facebook“ oder „Kreditkartendaten“,  „Datenmissbrauch“ und „millionenfach“ geht hierzulande schlagzeilentechnisch immer etwas. Ganz so wie Bilder von Kinder und Tiere laut einer ebenso alten wie zeitlosen Journalisten-Weisheit immer funktionieren. Und es findet sich in der Bundesrepublik auch immer ein Daten- und/oder Verbraucherschützer, der ungeprüft zumindest Bedenken anmeldet, um solchen Berichten die höchste Weihe eines Experten zu verleihen.

Ich bitte, zu bedenken: Die Schufa ist doch nicht das Böse per se. Die „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ (Schufa) sammelt Informationen, damit andere Unternehmen Kreditrisiken eingehen bzw. „risikoadäquat“ bepreisen können. „Information schafft Vertrauen“ lautet die Eigenwerbung der Wiesbadener früher – nicht ganz zu Unrecht – heute heißt es nur noch „Wir schaffen Vertrauen“.

Eine „verantwortungsvolle Kreditvergabe“, wie sie auch die Verbraucherschützer und Bundesverbraucherministerin Aigner fordern, braucht nunmal eine solide Informationsbasis über die Bonität des Kreditnehmers. Denn der wird mir Im Zweifel nicht erzählen, dass er eigentlich bereits hoffnungslos überschuldet ist.

Klar wäre es blöd, wenn man keinen Handyvertrag mehr bekommt, weil man seinen Beziehungsstatus bei Facebook von verheiratet auf „es ist kompliziert“ ändert oder einen höheren Kreditzins für den bei Media Markt finanzierten Flachbildschirm zahlen muss, weil man sich mit den falschen Freunde an den falschen Treffpunkten in der Stadt verabredet. Aber glaubt denn wirklich jemand, dass HPI und Schufa an solchen Algorithmen arbeiten? Nicht mal Facebook selbst bekommt es doch hin, die versprochene, zielgenaue Werbung auf den Profiseiten zu platzieren, wenn ich mir das bei meiner Gesichtsbuchseite so anschaue.

Soll sich eine Auskunftei anderseits blind stellen und die im Internet offen zugänglichen Informationen nicht nutzen? Die Schufa hält, wenn ich recht erinnere, Bonitätsinformationen zu rund 65 Millionen Deutschen bereit. Mehr als 95 Prozent davon sind positiv, betont die Auskunftei gern gebetsmühlenartig. Dann gibt es noch eine ganze Anzahl so genannter „harter Kriterien“ wie die Privatinsolvenz oder laufende Mahn- und Gerichtsverfahren, bei denen die Schufa anfragenden Unternehmen eine rote Ampel signalisiert. Der Rest ist der spannende und für Auskunfteien und Kreditentscheider schwierige Graubereich. Hier ist den Auskunfteien sicher jede Zusatzinformation Geld wert. Ob Facebook, Twitter & Co. diesbezüglich verwertbare Zusatzinformationen liefern können, wissen HPI und Schufa offenbar selbst noch nicht genau, deshalb haben sie das Forschungsprojekt SCHUFALab@HPI erstmal ins Leben gerufen.

Grundsätzlich sollte man aber eines im Hinterkopf behalten: Sämtliche Unternehmen, die auf Schufa-Daten zurückgreifen (Banken, Versicherer, Versender, Mobilfunkunternehmen, Absatzfinanzierer, etc.) wollen Geschäfte machen, Umsätze generieren und Kredite vergeben, je mehr, desto besser. Keiner der Beteiligten will potenziellen Kunden schaden, in dem er ihnen unnötig oder unberechtigt einen Kredit oder einen Geschäftsabschluss vorenthält.

Die Schufa hat übrigens mittlerweile – wegen des großen Interesses – FAQs zum SCHUFALab@HPI veröffentlicht. Wer mehr wissen will: hier geht´s lang.

Ich glaube, die Pressemitteilung des HPI vom Montag war ein Testballon, um zu schauen, ob und wie das Thema in den Medien aufgegriffen wird. Der Ballon dürfte jedenfalls geplatzt sein.

Update (8. Juni, 14:00 Uhr): Der Ballon ist in der Tat geplatzt: Das HPI teilte soeben in einer weiteren Presseerklärung mit, dass man das umstrittene Forschungsprojekt aufgelöst und den Vertrag mit der Schufa gekündigt habe.

„Angesichts mancher Missverständnisse in der Öffentlichkeit über den vereinbarten Forschungsansatz und darauf aufbauender Reaktionen könne ein solches wissenschaftliches Projekt nicht unbelastet und mit der nötigen Ruhe durchgeführt werden, erklärte HPI-Direktor Christoph Meinel“, heißt es in der Erklärung. Insofern frage ich mich natürlich, wenn ich hier überhaupt verteidige.

Eines bleibt aber IMHO gewiss, wer Spuren im Netz hinterlässt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese gelesen werden. Es ist doch albern zu glauben, interessierte Kreise würden ihre Augen aus Respekt vor der Privatsphäre des Betroffenen abwenden.

Oder, um es mal konkret zu machen: Es gibt sicherlich Tausende, die ihr Facebook-, Xing- oder Was-auch-immer-Profil nach einem Umzug aktualisieren, bevor sie zum Einwohnermeldeamt rennen. Wenn ein cleverer Gläubiger mit einem professionellen Forderungsmanagement so jemand vergeblich eine Mahnung zu geschickt hat, wo schaut er heutzutage wohl kostengünstig nach weiteren Adressmöglichkeiten? Ist dies verwerflicher, wenn es in einem automatisierten Massenbetrieb stattfindet?

Update II (11. Juni) Kontrapunkt & Leseempfehlung zum Thema: Frank Rieger fordert in der FAZ eine „Grundsatzdebatte“ über die Nutzung von Daten aus Facebook, Twitter & Co durch Auskunfteien wie die Schufa.

„Eine mächtige Dateninstitution (Anmerk. d. Verf.: die Schufa) mit vielschichtigem Einfluss auf den Alltag möchte alle verfügbaren Daten, die eigentlich für ganz andere Zwecke geteilt und publiziert wurden, in ihre Bestände integrieren und verwerten, um noch umfassender, profitabler und effizienter bei der Menschenkategorisierung zu werden“, kritisiert Rieger.

Für mich ist das die zentrale Stelle des Artikels. Wenn man „Menschenkategorisierung“ durch „Bonitätseinschätzung“ ersetzt, klingt es schon nicht mehr ganz so unmenschlich und „Big Brother“-roboterhaft, was die Schufa so treibt. Aber der Vorwurf trifft den Kern: Die Daten, die hier genutzt werden sollen, wurden aus anderen Motiven ins Netz gestellt. Und eine „Grundsatzdebatte“ fordern ist immer gut, das hat noch keinem geschadet.

Ein Kontrapunkt zum Kontrapunkt stellt gewissermaßen das Blogpost von Michael Seemann „Schufa, Facebook und die Plattformneutralität“ da. Meines Erachtens wird das Thema dort etwas überhöht. Ich glaube nicht, dass es hier um eine wolkige „Post-Privacydebatte“ geht. Im Fall „Schufa, HPI, Facebook & Co.“ geht es um ganz konkrete Interessen und abgrenzbare Sachverhalte, die man ggfs. auch gesetzlich regeln könnte. Dennoch teile ich in vielen Punkten die Auffassungen von Seemann und seine Kritik an dem FAZ-Beitrag. Es geht um die Frage, wollen wir eine „informierte Schufa“ (XY-Auskunftei) und es geht um die Frage, wann und inwieweit Kreditrating (Scoring) diskriminierend und damit ein gesellschaftliches Problem sein kann.

Beide Texte unterscheiden sich jedenfalls wohltuend von dem Skandalgeschrei der ersten Welle, das mich zu diesem Geschreibsel veranlasste 🙂

Nachtrag 12. August: Per E-Mail wies mich NDR-Redakteur Peter Hornung darauf hin, dass die Pressemitteilung des HPI nur veröffentlicht wurde, um der entsprechenden Berichterstattung des Senders zuvorzukommen. Damit wäre meine These vom Testballon natürlich obsolet, der Rest des Textes meines Erachtens jedoch nicht. Mir kam es darauf an, dass kein Journalist die PM oder das Thema aufgegriffen hat und sich erst nach den Berichten von NDR und Welt ein allgemeiner Entrüstungssturm erhob.

Wie ich zwischenzeitlich erfuhr, wurde das Vorhaben am 8. Juni offenbar nicht auf Betreiben des HPI abgeblasen, sondern auf Druck einiger Gesellschafter der Schufa. Man wollte diese „Debatte zur Unzeit“ (Börsengang Facebook, etc.) so schnell wie möglich beenden und habe deshalb die Notbremse gezogen, erzählte mir ein Vertreter eines Schufa-Gesellschafters vor einigen Wochen. Ich habe diese Aussage allerdings nicht weiter überprüft.

Ein Gedanke zu „Die Schufa, Facebook und die falschen Freunde

  1. Ehrlich gesagt hätte ich mir nicht vorstellen können, dass diese tatsächlich mit diesem Vorhaben durchgekommen wäre. Das wäre absurd gewesen. Dennoch, über kurz oder lang werden sich diese etwas neues einfallen lassen, um an die Daten der Nutzer zu kommen.

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